Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, EFSA) hat vor kurzem in einem Fachbericht dargestellt, daß von den insektiziden Wirkstoffen Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid aus der Gruppe der Neonikotinoide als Zusatz in den Beizmitteln akute Gefahren für die Gesundheit der Honigbienen ausgehen.
Im Focus der Kritik stehen dabei die Saatgutbeizen Poncho und Elado (Wirkstoff Clothianidin), Cruiser (Wirkstoff Thiamethoxam) und Gaucho und Chinook (Wirkstoff Imidacloprid). Auch wenn der EFSA-Bericht keine neuen Erkenntnisse gebracht hat, so hat er doch die politischen Entscheidungsträger aufgerüttelt. Die Möglichkeit eines wie auch immer gearteten Verbots oder eines Aussetzens der Zulassung dieser Beizmittel besteht. Es ist Sinn einer Saatgutbeize, den Feldaufgang und die frühen Entwicklungsstadien der Pflanzen gegenüber Schadpilzen und Schädlingen zu schützen, bzw. die Virusübertragung von Schädlingen zu verhindern. Es gibt in Luxemburg drei ackerbauliche Kulturen, in denen die Neonikotinoidbeizen eine Rolle spielen: Mais, Raps und Gerste. Im folgenden soll kurz dargestellt werden, welche Folgen sich durch den Verzicht auf diese Beizmittel ergeben und wie die Praxis reagieren muß, um Schaden von den Kulturpflanzen abzuwenden.
Pflanzenschutz in der Wintergerste
In der Gerste richtet sich die Neonikotinoidbeize in erster Linie gegen die Getreideblattläuse, die das Gerstengelbverzwergungsvirus (BYDV) übertragen. Bei einem Verzicht auf diese Beize sollte darauf geachtet werden, die Saat nicht vor dem 25. September vorzunehmen, da Frühsaaten bevorzugt durch die Haferblattlaus (Rhopalosiphum padi), die Große Getreideblattlaus (Sitobion avenae) und die Bleiche Getreideblattlaus (Metopolophium avenae) befallen werden. Allerdings schließt das die Gefahr eines Lausbefalls nicht gänzlich aus, weil der Saattermin immer noch in den Aktivitätszeitraum der Läuse fällt. Bei Winterweizen ist das weniger ein Problem. Der Landwirt muß hier deutlich intensiver auf die Blattläuse im Herbst und auf das Erreichen der wirtschaftlichen Schadensschwelle – 10% befallene Pflanzen bei Frühsaaten (Auflauf vor dem 25. September) und 25% bei Normalsaat (Auflauf nach dem 25. September) – achten. Eine Feldapplikation mit Pyrethroiden ist möglich, sollte allerdings mit einer Herbizidmaßnahme verbunden werden, um Überfahrtkosten zu vermindern. Der Applikationstermin ist von entscheidender Bedeutung, weil der Läusezuflug im Herbst eher verzettelt stattfindet. Es sollte daher überlegt werden, von Seiten der Forschung und Beratung einen Warndienst für Getreideblattläuse zu etablieren, der nicht nur den Zuflug der einzelnen Arten, sondern auch die potentielle Viruslast erfaßt. Die Saat neben spätreifen Maissorten sollte ebenso vermieden werden, wie ungepflegte Feldränder mit hohem Grasanteil, Ausfallgetreide oder das Aufkommen von Quecke, weil dort vielfach ein hohes Läusepotential vorliegt. Im übrigen könnten auch die etablierten Beizen auf der Basis der Pyrethroide immer noch eingesetzt werden, um die Jungpflanzenbestände vor Läusen effektiv zu schützen. Es müßte dann nur langfristig darauf geachtet werden, daß Herbstspritzungen gegen die Läuse nicht „zur schlechten Angewohnheit“ werden, weil sonst Resistenzprobleme bei den Pyrethroiden zu erwarten sind.
Die Zwergzikade (Psammotettix alienus) kann zwar das Weizenverzwergungsvirus (WDV) auch auf die Gerste übertragen, allerdings ist die Schadwirkung in der Gerste deutlich reduziert. Im übrigen haben weder die systemischen (Neonikotinoide) noch die Kontaktwirkstoffe (Pyrethroide) in der Beize einen ausreichenden Schutz gegen die Zwergzikade bewirkt. Drahtwürmer spielen im Getreide bisher in Luxemburg keine Rolle.
Fazit:
- Saatzeitpunkt der Wintergerste nicht vor dem 25. September.
- Dünnsaaten vermeiden, da sie von den Läusen besser wahrgenommen werden.
- Feldstoppel umgehend bearbeiten, Ausfallgetreide bekämpfen (Feldhygiene).
- Am Feldrand Gräser abmähen.
- Wintergerste möglichst nicht in Nachbarschaft zu spätreifen Maissorten.
- Bedarfsgerechte N-Gabe zum Herbst und ausreichende Stickstoffverfügbarkeit im Frühjahr zur Regeneration der durch Viren geschädigten Wurzeln.
Pflanzenschutz im Winterraps
Der Winterraps kennt zwei Herbstschädlinge: die Kleine Kohlfliege und den Großen Rapserdfloh. Daneben tauchen gelegentlich noch weniger bedeutende Schädlinge auf, wie z.B. Kohlmotte, Schwarzer Kohltriebrüßler oder auch die Rübsenblattwespe. Aber diese Arten haben nur in Extremjahren an wenigen Standorten eine wirtschaftliche Bedeutung.
Das Aufkommen des Rapserdflohs ist seit 2007 in Luxemburg stark rückläufig. Nur an wenigen, intensiven Rapsstandorten wurde der Bekämpfungsrichtwert von 50 Käfern pro Gelbschale innerhalb von zehn Tagen noch erreicht. Der Rückgang der Schädlingspopulation in den letzten Jahren kann ein Effekt der Neonikotinoidbeizen gewesen sein; deswegen wäre bei einer Aussetzung der Zulassung dieser Wirkstoffe ein stärkeres Aufkommen des Rapserdflohs zu erwarten. Der Landwirt kann durch Aufstellen von Gelbschalen, aber auch durch regelmäßige Kontrolle von Jungpflanzen auf starken Lochfraß (Bild 2) den Schädlingsdruck erfassen und bei Erreichen des Bekämpfungsrichtwertes eine Feldspritzung mit Pyrethroiden vornehmen, die eventuell mit einer Einkürzung verbunden werden kann.
Bild 2: Fraßschäden durch Erdflöhe abschätzen (Foto: Eickermann).
Im Raps ist bisher noch die Mesurolbeize zugelassen, die auf dem insektiziden Zusatz von Methiocarb beruht, so daß es bei Feldspritzungen mit Pyrethroiden (z.B. Decis oder Karate) auch keine Gefahr einer Resistenzentwicklung geben dürfte. Eine rasche Pflanzenentwicklung begünstigt die Kompensation von Fraßschäden. Sobald zehn Blätter an den Rapspflanzen zu finden sind, richtet der Rapserdfloh keinen Schaden mehr an, außer in extrem warmen Wintern, in denen die Eiablage fortgesetzt werden kann (z.B. in 2006/07). Nicht abzuschätzen ist das Aufkommen der Kohlerdflöhe, das sind die „kleinen Brüder“ des Rapserdflohs, die insbesondere an Feldrändern von jungen Beständen zu finden sind. Da sie meist aus Altrapsbeständen einwandern, kann durch die frühzeitige Entfernung dieser „Grünen Brücken“ die Anhäufung und Zuwanderung dieser Schädlinge deutlich erschwert werden (Bild 3).
Bild 3: Ausfallraps muß entfernt werden (Foto: Eickermann).
Die Kohlfliege ist der wichtigste Schädling in jungen Winterraps-Beständen. Seine Bedeutung ist durch höhere Anbaudichten in den letzten 15 Jahren gestiegen. Die bisher verwendeten Neonikotinoidbeizen schützten bisher vor einem Starkbefall, ein vollständiger Schutz waren diese Wirkstoffe jedoch nicht. Die Mesurol-Beize wirkt nur bedingt gegen Kohlfliegenbefall, so daß hier auf klassische, ackerbauliche Methoden zurückgegriffen werden muß, um Schäden zu vermeiden. Insbesondere Frühsaaten um den 15. August werden bevorzugt von der Fliege zur Eiablage genutzt. Der Saattermin ist daher entsprechend anzupassen. Ein bevorzugtes Rückzugsgebiet („grüne Brücke“) für die Kohlfliege sind ferner Bestände von Ausfallraps. Diese Altpflanzen müssen frühzeitig beseitigt werden, insbesondere wenn junge Rapsbestände nicht weit entfernt liegen. Auch sollte in sehr engen Fruchtfolgen auf Ölrettich oder Senf verzichtet werden, da sie Wirtspflanzen der Kohlfliege sind. Eine reduzierte Bodenbearbeitung vermindert zusätzlich die Eiablage der Kohlfliege und fördert Laufkäfer als Gegenspieler der Fliegenlarven.
Fazit:
- Saatzeitpunkt des Winterraps nicht vor 25. August.
- Förderung einer raschen Pflanzenentwicklung.
- Grüne Brücken vermeiden (Ausfallraps umgehend beseitigen durch Unterpflügen, Verzicht auf Ölrettich oder Senf als Gründüngung neben jungen Rapssaaten).
- Pfluglose Bodenbearbeitung/Mulchsaat bevorzugen.
- Weite Fruchtfolge bevorzugen (mindestens 3-4gliedrig).
Pflanzenschutz im Mais
Beim Maisanbau wird insbesondere der Drahtwurm (die Larve des Saatschnellkäfers) durch die Neonikotinoidbeize in Schach gehalten (Bild 4).
Bild 4: Drahtwurm nimmt an Bedeutung zu (Foto: Parisot).
Die Häufigkeit des Drahtwurms hat in den letzten Jahren wieder deutlich zugenommen, insbesondere auf Grünland mit hohem Anteil an mehrjährigem Kleegras. Die Schadschwelle liegt bei 1-2 Larven/m2. Hier könnte Abhilfe schaffen, nach dem Grünlandumbruch zunächst auf den Anbau von Mais auf der gleichen Fläche zu verzichten. Auch auf Starkbefallsflächen wäre der Maisanbau eher zu unterlassen, stattdessen sollte man verstärkt Leguminosen (Ackerbohne, Körnererbse) in die Fruchtfolge einplanen. Getreide wirkt durch die intensive Wurzelatmung (CO2 lockt die Larven an) eher fördernd. Zwischenfrüchte (Gelbsenf) oder Untersaaten (Weidelgras) zeigen meist nur ungenügende Wirkungen gegen den Drahtwurm. Eine weite Fruchtfolge könnte allerdings bei einigen Landwirten Probleme mit der Verfügbarkeit der Felder hervorrufen. Hier sollte sehr sorgsam die Befallssituation auf den Flächen im Vorfeld abgeschätzt und auch überwacht werden, z.B. durch Pheromonfallen oder Köderfallen (Weizenkeimlinge oder Kartoffelscheiben). Letztere sind etwas ungenau, und es sollte die Hilfe der Beratung in Anspruch genommen werden. Gelegentlich findet man den Hinweis auf Einsatz von Kalkstickstoff als Unterfußdüngung, daß in Kontakt mit Bodenfeuchte ein larvenschädliches Zyanid entwickelt. Davon ist eher abzuraten, da es oft zu Schädigungen an der Pflanze kommen kann, insbesondere bei ungenauer Plazierung.
Es sollte auf eine gute Unkrautbekämpfung geachtet werden, da Weibchen des Saatschnellkäfers dichte, feuchte Pflanzenbestände zur Eiablage bevorzugen. In der Literatur werden Bodenbearbeitungsmaßnahmen gegen den Drahtwurm diskutiert. Insbesondere die Junglarven sind sehr empfindlich gegenüber Trockenheit. Eine Bearbeitung der Fläche im April/Mai und August/September mit Pflug, Fräse oder Striegel würde diese Jungstadien des Drahtwurms erfassen. Andere Bekämpfungsmöglichkeiten des Drahtwurms wie Einsatz von Nematoden, entomopathogenen Pilzen oder auch Biofumigation sind derzeit nicht praxisrelevant. Sollten die Neonikotinoidbeizen wegfallen, dann bliebe noch die Mesurol-Beize, die eine genügende Wirksamkeit gegen den Drahtwurm zeigt.
Die Bekämpfung der Fritfliege kann ebenfalls mit der Mesurol-Beize erfolgen. Hier ist noch eine gute Wirksamkeit gegeben. Auch eine schnelle Pflanzenentwicklung vermindert den Befall, da ab dem 4-Blattstadium die Fritfliege keine Eier mehr am Mais ablegt. Schlecht auflaufende Spätsaaten im 2- bis 3-Blattstadium sind extrem gefährdet und sollten vermieden werden.
Der Maiszünsler wird grundsätzlich nicht mit einer Beize erfaßt, weil er zu spät im Jahr auftritt. Hier hilft eher eine ordentliche Stoppelbearbeitung bis Mai, da die Larven des Maiszünslers, die in und um den 1. Knoten sitzen und in der Stoppel überwintert haben, sich nicht mehr verpuppen können (das ist sonst die Generation, die im Juni zum Neubefall führt). Auch eine tiefgründige Bodenbearbeitung kann helfen. Da der Maiszünsler als kleiner Falter hochmobil ist, sollten die Landwirte hier regionale Strategien entwickeln, um eine Neubesiedlung zu vermeiden.
Fazit:
- Für die Bekämpfung des Drahtwurms weite Fruchtfolgen einhalten, Leguminosen einplanen, empfindliche Stadien durch Bodenbearbeitung bekämpfen, Unkraut sorgsam bekämpfen und Befallssituation feldspezifisch beobachten.
- Für die Bekämpfung des Maiszünslers Stoppelbearbeitung beachten, regional absprechen mit anderen Landwirten, um eine Neubesiedlung zu vermeiden.
- Für die Bekämpfung der Fritfliege eine schnelle Pflanzenentwicklung gewährleisten und auf Spätsaaten eher verzichten.
Probleme sind lösbar
Die Industrie hat bereits gewarnt, daß sich Kosten von 900 Millionen Euro pro Jahr für Anbauer und Verbraucher durch ein Verbot der Neonikotinoide ergeben könnten. Bei genauerer Hinsicht kommt man aber zu dem Schluß, daß die Schädlinge auch ohne die Neonikotinoide bekämpfbar sind. Sollte es zum Einsatz anderer Saatgutbeizen kommen, z.B. auf der Basis der Pyrethroide oder auch Mesurol-Beize, so sollte immer auf den Einsatz der pneumatischen Sämaschinen geachtet werden, um ein unnötiges Ausstäuben von Wirkstoffpartikeln auf Trachtpflanzen von Bestäubern zu verhindern. Mechanische oder mit Saugluft arbeitende Sämaschinen müssen umgerüstet werden.
Wie so oft sind die Probleme im Pflanzenschutz „hausgemacht“ und in der Landwirtschaft haben wir uns angewöhnt, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln als erstes Mittel der Wahl zu bevorzugen. Im Sinne eines integrierten Pflanzenschutzes müssen wir uns nun wieder auf die ackerbaulichen Maßnahmen konzentrieren: Fruchtfolge, Saattermin, Bodenbearbeitung und Feldhygiene. Die Hauptstrategie muß sein, die Zuwanderung der Schädlinge in die Felder zu verhindern oder zu erschweren, bzw. das Schädlingspotential langfristig zu vermindern. Grundsätzlich wirken ackerbauliche Maßnahmen nur dann schädlingsregulierend, wenn sie dauerhaft und konsequent umgesetzt werden.
Gilles Parisot (Chambre d’Agriculture)
Dr. Michael Eickermann (CRP-Gabriel Lippmann)