Etwa 35% aller Pflanzen, die vom Menschen für die Nahrungs- und Saatproduktion genutzt werden, benötigen die Bestäubung durch Bienen für einen guten Fruchtansatz, z.B. für Mandel, Apfel und Kirsche. Spargel, Mohrrüben oder Sellerie würde es ohne eine Insektenbestäubung überhaupt nicht geben. Unter dem Begriff Bestäubung versteht man die Übertragung von Pollen (Blütenstaub) auf die Narbe des Fruchtblattes. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie der Pollen an sein Ziel gelangt. Ein Erfolgsmodel der Natur ist dabei der Transport von Pollen durch Insekten, z.B. durch die Honigbiene. Um die Biene anzulocken, produziert die Blüte zuckersüßen Nektar als kleinen Anreiz. Beim Blütenbesuch bleibt Pollen an den Haaren der Biene hängen und wird beim Besuch weiterer Blüten gleichmäßig verteilt. Trotzdem wird aber noch genügend Pollen von der Biene selbst einbehalten und an den Hinterbeinen (Pollenhöschen) in den Stock gebracht. Honigbienen neigen zur Blütenstetigkeit, d.h. es werden immer wieder Blüten der gleichen Pflanzenart aufgesucht. Deswegen weist die Pollenladung, die eine Biene in den Stock bringt, einen Reinheitsgrad von etwa 90% auf. Pollen ist von großer Bedeutung für die Bienen, da er ihre einzige Eiweißgrundlage darstellt. Er ist durch keinen anderen Stoff zu ersetzen! Etwa 30 kg Pollen sind notwendig für die Versorgung eines Bienenvolkes pro Jahr. Der Wert eines Einzelvolkes für die Bestäubung in der Agrarkultur wird heute von der EU mit ca. 800 Euro pro Jahr beziffert. Das ist nur ein Richtwert und kann je nach bestäubter Kulturfrucht schwanken. Mandeln sind nun einmal wertvoller als Zwiebeln. Insbesondere im Raps bringt die Honigbiene als Bestäuber gleich eine ganze Reihe von Vorteilen, die im folgenden beschrieben werden sollen.
Raps selbst ist eigentlich ein Windbestäuber und sein Pollen ist sehr leicht und kann daher gut mit dem Wind auf andere Blüten verteilt werden. Jeder, der einmal durch ein blühendes Rapsfeld gelaufen ist, kann das erkennen. Durch den zusätzlichen Einsatz von Bienen kann der Raps jedoch einen deutlich höheren Ertrag erzielen. Allerdings wird die Bestäubungsleistung der Biene im Raps von den Fachleuten sehr unterschiedlich gewertet, da eine Vielzahl von Faktoren die Bestäubung beeinflussen, z.B. die Rapssorte. Sorten, die grundsätzlich sehr wenig Pollen bilden, z.B. Hybridsorten der ersten Generation wie die Sorte COMPLEX, profitieren von der Bestäubung durch Bienen besonders, weil der Pollen durch die Insekten gezielter von Pflanze zu Pflanze übertragen wird als durch den Wind. Durch diesen Sorteneffekt erklären sich auch sehr unterschiedliche Ergebnisse in der Fachliteratur, wenn der Mehrertrag durch die Bienen geschätzt wird. Österreichische Studien gehen von einem Mehrertrag von 10 dt/ha bei 3 Völkern pro Hektar aus. Deutsche und englische Studien hingegen nehmen an, daß zwei Bienenvölker pro Hektar Raps etwa einen Mehrertrag von etwa 4 dt/ha bedeuten können. Neben dem positiven Einfluß auf den Gesamtertrag der Rapspflanze steigert die Biene aber auch die Zahl der Körner pro Schote. In einer deutschen Studie fanden sich lediglich 15 Körner pro Schote bei Windbestäubung, bei einer Bienenbestäubung jedoch ca. 22 Körner. Daneben stieg aber bei Windbestäubung das Tausendkorngewicht etwas und die Körner wurden größer. Leider gibt die Studie keine Informationen zum Öl- oder zum Proteingehalt. Es ist aber bekannt, daß beim Senf (einem nahen Verwandten des Rapses), Insektenbestäubung zu einem höheren Proteingehalt im Samen führt als Windbestäubung. Es müßte also untersucht werden, ob kleinere, proteinreichere Körner einen Vorteil gegenüber einem höheren Tausendkorngewicht haben. Beides hätte aus Sicht des Anbauers Vor- und Nachteile. Ein weiterer Effekt, der unterschätzt wird, ist die gleichmäßige Abreife, die durch eine gleichmäßige Bestäubung hervorgerufen wird. Dadurch kann die Mehrzahl der reifen Körner zum Erntetermin aus den Schoten gedroschen werden (Druschfähigkeit), es vermindern sich also die Druschverluste. Eine gleichmäßige, frühe Bestäubung erlaubt auch eine schnellere Ausbildung der Schotenoberfläche, die wie die Blätter die Möglichkeit der Photosynthese besitzt. Während der Vollblüte sinkt die Photosyntheseleistung im Raps ab, weil die Mehrzahl der Blätter an der Pflanze bereits abgefallen sind. Je schneller sich die Schoten entwickeln, desto schneller kann diese Photosyntheselücke ausgefüllt werden. Rein theoretisch hätte eine schnelle Blüte durch gleichmäßige Bestäubung, und damit verbunden eine schnelle Entwicklung der Schoten, auch einen Effekt auf die Schädlinge. Der Kohlschotenrüßler bevorzugt für die Eiablage nur kleine Schoten von etwa 2 cm. Es könnte also sein, daß der Raps dem Schädling „davonwächst“. Leider fehlen zu diesem Punkt wissenschaftliche Daten.
Neben den Honigbienen sind viele Solitärbienen, wie die Mauerbiene (Osmia cornuta), gute Bestäuber im Raps. Einige Studien sehen in der Mauerbiene tatsächlich einen weit besseren Bestäuber als die Honigbiene. Allerdings können Solitärbienen kaum weiter als 15 m in den Rapsbestand einfliegen. Damit sind sie für große Schläge nicht als Bestäuber geeignet.
Die Vorteile einer flächendeckenden Bestäubung durch die Honigbiene sind also von wirtschaftlicher Bedeutung. Es stellt sich nun die Frage, wieviele Bienenvölker für eine flächendeckende Bestäubung und gute Ertragsentwicklung im Raps notwendig sind. Bei Trachtpflanzen (z.B. Apfel oder Kirsche) geht man von etwa 4 Völkern pro Hektar aus. Beim Raps finden sich in der Literatur verschiedene Angaben von 2-6 Völkern pro Hektar Raps. In den letzten Jahren mehren sich aber Hinweise auf eine Unterversorgung der Bestäubung von landwirtschaftlichen Kulturen, auch Bestäubungslücke genannt. Dieses sehr ernste Problem wird bisher von der Agrarwirtschaft nicht genügend wahrgenommen. Am CRP-Gabriel Lippmann wurden bereits 2009 erste Modellrechnungen zur Bestäubung der Rapskultur in Luxemburg aufgestellt. Es wurde dabei von einer Mindestanzahl für eine ausreichende Bestäubung von 2 Bienenvölkern pro Hektar Raps ausgegangen. Die Ergebnisse waren verblüffend: es zeigten sich in 8 von 12 Kantonen deutliche Bestäubungslücken, d.h. dort fehlten Bienenvölker für eine flächendeckende Bestäubung. Besonders auffällig war dies in den Kantonen Redange und Capellen. Der so entgangene Mehrertrag entsprach zum damaligen Zeitpunkt etwa 3,8 dt/ha (etwa 11,4% des landesweiten Durchschnittsertrages). Die Vorhersagen für die Zukunft sind leider nicht günstig: einerseits nimmt die Zahl der Luxemburger Imker stetig ab (2% jährlich), anderseits sinkt dadurch auch die Zahl der Bienenvölker im Land (von 2008 zu 2011 ein Rückgang von ca. 14% auf 4.827 Völker). Hinzu kommen die Völkerverluste, die sich oftmals zu Beginn eines Frühjahrs zeigen und für den Imker hohe finanzielle Kosten bedeuten (ca. 100 Euro pro Volk). Bei den geschilderten Vorteilen der gleichmäßigen Bestäubung ist es verwunderlich, daß die Politik noch kein „nationales Programm zur Sicherung der Bestäubung“ oder ein „Prämiensystem für die Bestäubung“ aufgelegt hat. Das könnte nicht nur die Artenvielfalt fördern, sondern auch die Wertschöpfung der Landwirte auf natürliche und nachhaltige Weise verbessern.
Dr. Michael Eickermann (CRP-Gabriel Lippmann)
Antoine Clermont (CRP-Gabriel Lippmann)
Roger Dammé (Letzebuerger Landesverband fir Beienzuucht)