Am 14. Januar 1962 einigten sich die Agrarminister der sechs Gründungsmitgliedstaaten der heutigen Europäischen Union – Deutschland, Italien, Frankreich und die drei Beneluxländer – nach einem langen Verhandlungsmarathon darauf, gemeinsame Marktordnungen für die einzelnen Produktbereiche zu schaffen, dies mit dem Ziel, die Ernährung der Bürger zu sichern und den Landwirten einen entsprechenden Lebensstandard zu ermöglichen. Mit dem Romvertrag war bereits 1957 der Grundstein für die gemeinsame Agrarpolitik gelegt und deren Ziele festgeschrieben worden.
Bei den Anfängen der gemeinsamen Agrarpolitik ging es vor allem darum, die Produktivität in der Landwirtschaft zu steigern, die Märkte zu stabilisieren und die Versorgung der europäischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu sichern, was damals keine Selbstverständlichkeit war und eventuell morgen auch keine mehr ist, wenn die Weichen heute nicht richtig gestellt werden.
Die Gemeinsame Agrarpolitik feiert somit in diesem Jahr ihr 50jähriges Bestehen und selbst deren Gegner und Kritiker müssen anerkennen, daß sie einen wesentlichen Beitrag zur europäischen Integration und zum Aufbau der heutigen Union geleistet hat, daß sie die Voraussetzung überhaupt für eine gemeinsame EU-Politik wurde und auch heute noch immer die einzige wahrhaft gemeinsame Politik der Union ist.
Das 50-jährige Bestehen der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik war Anlaß für einen Festakt am vergangenen Montag im Rahmen des EU-Agrarrates. Kommissionspräsident Barroso betonte dabei, daß die Gemeinsame Agrarpolitik zweifelsohne einer der großen Erfolge des europäischen Aufbaus ist und auch heute noch zu den zentralen Anliegen europäischer Politik gehört. Der europäische Agrarsektor zeichne sich durch Dynamismus und ein großes Potential aus und die GAP bleibe ein Trumpf für die Union. Mehr denn je brauche Europa eine modernisierte GAP, die stark, wettbewerbsfähig, innovativ und grün sei, um den Erwartungen der Bürger in bezug auf die Nahrungsmittelversorgung zu entsprechen, der internationalen Konkurrenz zu begegnen und einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel sowie zum nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen zu erbringen. Die reformierte GAP müsse, so der Kommissionspräsident, eine vorrangige Rolle zum Erreichen der Ziele der EU-Strategie 2020 für ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum spielen, damit Europa noch stärker und vereinter aus der derzeitigen Krise herausgehe. Darüber hinaus soll die GAP eine bedeutende Rolle in bezug auf Wachstum und Beschäftigung spielen.
Seit ihrer Gründung wurde die Gemeinsame Agrarpolitik mehrfach grundlegend reformiert, wobei insbesondere mit der Reform von 2003 ein gänzlicher Paradigmenwechsel vollzogen wurde, dies zuletzt auch unter dem Einfluß der internationalen Handelsgespräche. Markt- und Produktionsstützungsmaßnahmen wurden weitgehend durch die Direktzahlungen ersetzt, dies einhergehend mit strengen Auflagen insbesondere im Bereich Umweltund Naturschutz, Produktqualität und Tierschutz. Der gemeinsamen Agrarpolitik wurde ganz klar ein grüner Mantel verpaßt, während von den Landwirten im Laufe der Jahre, parallel zu immer mehr Bürokratieaufwand, ein besonderes Anpassungsvermögen an ständig neue Rahmenbedingungen abverlangt wurde.
Heute zeichnet sich die europäische Landwirtschaft durch die weltweit höchsten Standards in bezug auf Umwelt- und Tierschutz sowie inbezug auf Qualität und Produktsicherheit aus. Und dennoch bleibt sie ungemindert in der Kritik: Für die einen kostet sie zuviel, für andere ist sie nicht grün genug… Die tatsächlich von der Landwirtschaft erbrachten Leistungen, die von ihr erbrachten Wohlstandsgewinne, von denen ein jeder Bürger der Union profitiert, kommen dabei leider zu kurz bzw. werden zerredet, woran die Kommission selbst nicht ganz unschuldig ist.
Der Landwirtschaft und der Gemeinsamen Agrarpolitik werden heute ständig neue, zusätzliche Aufgaben zugewiesen und nicht umsonst wird auch aus wissenschaftlicher Sicht vor einer Überbelastung oder Überforderung gewarnt, dies umso mehr als dabei tiefgreifende Zielkonflikte immer deutlicher werden. Selbst in Barrosos vorerwähnten Ausführungen werden diese Zielkonflikte sichtbar: Die Gemeinsame Agrarpolitik soll grüner, jedoch auch wettbewerbsfähiger werden, um im Konkurrenzkampf mit den internationalen Handelspartnern mithalten zu können. Gleichzeitig soll sie sämtliche zusätzlich an sie gestellten Aufgaben mit noch weniger Finanzmitteln bewältigen. All diejenigen, die in diese Richtung plädieren, müssen sich bewußt sein, daß immer mehr Umweltauflagen und Restriktionen mit wesentlichen Mehrkosten einhergehen und damit die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft glattweg unterlaufen. Sie müssen sich auch bewußt sein, daß das geplante zusätzliche Begrünen, u.a. mit einer 7%igen ökologischen Flächenstilllegung, automatisch zu Einkommensverlusten führt, sei es weil diese Flächen der Bewirtschaftung entzogen werden, sei es weil die bislang gewährten Umweltzahlungen den Landwirten damit entzogen werden. Boden ist ein knapper, aber unersetzlicher Faktor in der Landwirtschaft: Jedweder Entzug von landwirtschaftlich nutzbaren Flächen läuft auch der Ernährungssicherung diametral entgegen, ebenso wie der Sicherung eines angemessenen landwirtschaftlichen Einkommens.
Die gemeinsame Agrarpolitik hat sicherlich in den letzten 50 Jahren Großes im Interesse der Wirtschaft und der Gesellschaft geleistet – Lebensmittel gibt es heute in Hülle und Fülle; Umweltschutz, Landschaftspflege und Artenschutz haben seit langem ihren Einzug in die landwirtschaftliche Praxis gefunden; Landwirtschaft und Ernährungssektor gehören heute mit über 40 Millionen Beschäftigten zu den größten Arbeitgebern in der Union und rangieren vor der Automobil- oder Luftfahrtindustrie.
Umsomehr gilt es – angesichts der sich stellenden, bereits oftmals thematisierten Herausforderungen – die Weichen in die richtige Richtung zu stellen, dabei auch ein besonderes Augenmerk auf die immer noch schwierige Einkommenslage in der Landwirtschaft zu richten. Diesen Anforderungen werden die Reformvorschläge der Kommission allerdings nicht gerecht und es genügt dabei sicherlich auch nicht, sich den ungehemmten, allerdings realitätsfremden und auch in vieler Hinsicht abträglichen Wünschen der grünen Lobby zu beugen. Vielmehr sind die politisch Verantwortlichen gefordert, die notwendigen Korrekturen durchzusetzen, damit das angestrebte grüne Wachstum tatsächlich erreicht werden kann.
Mit dem Festakt im Rahmen des Agrarrates vom23. Januar wurde eine EU-weite Kampagne zu „50 Jahren GAP“ gestartet. Es bleibt zu wünschen, daß mit dieser Kampagne dem Bürger die GAP tatsächlich nähergebracht werden kann, daß damit auch viele Falschinformationenwiderlegt undVorurteile abgebaut werden können bzw. dem Bürger klar bewußt wird, daß Prinzipien wie Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung, Tierschutz, Artenschutz heute bereits nicht nur zur GAP, sondern auch zur gängigen tagtäglichen Arbeit in den landwirtschaftlichen Betrieben gehören.