Am kommenden Montag wird EU-Agrarkommissar Phil Hogan zu einer Arbeitsvisite in Luxemburg eintreffen. Geplant sind eine Sitzung im Landwirtschaftsministerium, ein Besuch bei der Agrarkommission der Abgeordnetenkammer sowie eine Zusammenkunft mit Repräsentanten des Agrarsektors auf einem Milchviehbetrieb in Eschweiler. Im Vorfeld der Arbeitsvisite haben wir dem EU-Agrarkommissar einige Fragen gestellt.
Einerseits haben Sie sich in der öffentlichen Anhörung vor dem EP für eine markt- und exportorientierte Landwirtschaft ausgesprochen und die Landwirtschaft als eine Schlüsselbranche in Europa bezeichnet, die Arbeitsplätze schaffen und zum Wachstum beitragen soll. Deshalb soll dem Bereich Forschung und Innovation ein hoher Stellenwert beigemessen werden, um der Bedeutung der Branche gerecht zu werden. Andererseits sehen die Landwirte sich mit zunehmenden Auflagen und Restriktionen im Zusammenhang mit Umwelt-, Klima- und Wasserschutz konfrontiert.
Wie wollen Sie diesen Spagat meistern?
Werden Ihrer Meinung nach die wirtschaftlichen Aspekte in den Diskussionen um nachhaltige Entwicklung allgemein ausreichend berücksichtigt?
Phil Hogan: Ich bin ein vormaliger Umweltminister und ich habe immer gesagt, daß die Umwelt-Nachhaltigkeit wesentlich ist für eine nachhaltige Nahrungsproduktion. Ohne nachhaltige Umwelt in bezug auf Bodenfruchtbarkeit, Wasserqualität usw. werden wir keine Agrarproduktion haben. Ich bin fest der Ansicht, daß Landwirtschaft und Nahrungsproduktion ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor und Arbeitsstellenbeschaffer für Europa sein können. Es gibt ein enormes Potential in Europa für verstärkte Nahrungsproduktion, ausgeführt auf sehr umweltbedingt nachhaltige Art und Weise. Natürlich erfordert das eine umfassende Nutzung von Forschung und Innovation, und das ist einer der Gründe, warum ich so eng mit meinem Kollegen Carlos Moedas, Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation zusammenarbeite. Forschung und Innovation sind in so vielerlei Hinsicht wesentlich, von der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Nahrungsmittelproduktion bis zur Sicherstellung der Nachhaltigkeit dieser Produktion. Die GAP (Gemeinsame Agrarpolitik, d. Red.) stellt bedeutsame Umweltanforderungen an die Landwirte, und ein beträchtlicher Teil ihrer Zahlungen von der EU ist an diese Anforderungen geknüpft. Ich unterstütze diese Methode und sehe keinen Konflikt zwischen verstärkter landwirtschaftlicher Produktion und dem Schutz und der Verbesserung der Umwelt.
Wie bewerten Sie die allgemeinen bzw. langfristigen Marktperspektiven? Was könnte Europa tun, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft voranzubringen?
Phil Hogan: Globale Märkte vorauszusehen, ist immer ein riskantes Geschäft, aber ich bin sehr optimistisch in bezug auf die Zukunftsperspektiven einer marktorientierten, auf Export ausgerichteten europäischen Landwirtschaft und des Nahrungssektors. In ein paar Tagen werden die Milchquoten abgeschafft und somit ein Markt liberalisiert, der jahrelang davon abgehalten wurde, sein Potential zu erreichen. Die Aussichten für Milchexporte, besonders nach Südostasien und den Mittleren Osten, sind besonders ermutigend. Die Erfahrung des Rußland-Embargos auf die europäischen Nahrungsprodukte illustriert die Wichtigkeit, neue Märkte ausfindig zu machen und zu entwickeln. Ich bin entschlossen zu versichern, daß wir jene neuen Märkte aufbauen, und ich will alles tun was ich kann, mitzuhelfen, solche Märkte zu eröffnen und zu entwickeln. Natürlich muß die europäische Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion wettbewerbsfähig sein, wenn wir auf dem internationalen Markt konkurrieren sollen. Wir müssen immer unsere Kostenbasis im Auge behalten, insbesondere die Herstellungskosten. Wir müssen die Strukturveränderung berücksichtigen, um die Wettbewerbsfähigkeit auf Betriebsebene zu verbessern, und wir müssen uns auf Forschung und Entwicklung konzentrieren, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Was wir nie tun dürfen, ist, unsere hohen Standards bei der Nahrungsmittelproduktion aufs Spiel zu setzen mit dem Streben nach größerer Wettbewerbsfähigkeit. Während der Preis ein Schlüsselfaktor für die europäischen Lebensmittel ist, ist unser guter Ruf für hochqualitative, sichere, nachhaltig produzierte Lebensmittel ebenbürtig, wenn nicht gar ein wichtigerer Faktor. Das sind sehr große Pluspunkte für den Verkauf unserer landwirtschaftlichen Produkte und Lebensmittel, und wir müssen sicherstellen, daß sie aufrechterhalten bleiben.
Verschiedenerseits wird die Landwirtschaft kritisiert mit dem Argument, es mache keinen Sinn, Energie und Futtermittel zu importieren, um Milch und Fleisch für den Export herzustellen. Wie sehen Sie die Situation?
Phil Hogan: Als die Junker-Kommission ihr Amt antrat, wurde die Notwendigkeit einer Energie-Union als eine der politischen Schlüsselprioritäten für die neue Kommission ausgemacht. Es stimmt, daß die EU der größte Energie-Importeur der Welt ist, aber die neue Energie-Union wird sicherstellen, daß Energie sicher und nachhaltig und daß Europa weniger energieabhängig sein wird. Die Energie-Union wird Vorteile für alle Bürger und Berufe bringen, und das schließt die Landwirtschaft und den Lebensmittelsektor ein. Es stimmt auch, daß wir ein Eiweißdefizit in Europa haben, und daß wir abhängig sind von Eiweißimporten für die Viehproduktion in Europa. Ich habe vorhin gesagt, daß wir Lebensmittel sehr nachhaltig in Europa produzieren und, angesichts der steigenden globalen Lebensmittelnachfrage, wenn wir nicht in Europa produzieren, so nachhaltig, wie wir es tun, wird es anderswo in der Welt getan, viel weniger nachhaltig und mit den offensichtlichen und unvermeidbaren und vielleicht viel länger andauernden Folgen für die Umwelt.
In ein paar Tagen, zum kommenden 1. April, gehören die Milchquoten der Vergangenheit an. Wurden Ihrer Meinung nach den Betrieben ausreichende Möglichkeiten gegeben, um sich nach 31 Jahren Quotenregime auf die jetzt gänzlich neue Situation vorzubereiten. Hätte nicht zumindest die angekündigte Soft Landing für alle Mitgliedsstaaten gesichert werden müssen? Dies ist klar nicht der Fall in Luxemburg.
Phil Hogan: Die Landwirte hatten zwölf Jahre Zeit, um sich auf das Ende der Milchquoten vorzubereiten, seit dem erstmaligen Beschluß 2003, und deshalb kann es keine Überraschung für den Milchsektor in Luxemburg oder irgendwo sonst in der EU sein. Der entscheidende Punkt ist, daß es ein enormes Potential für den Milchsektor gibt wegen der vorhergesagten Steigerung des Verbrauchs in der Europäischen Union und darüber hinaus, insbesondere für Mehrwertprodukte wie Käse und Joghurt, aber das Quotensystem die Leute zurückhält.
Seit 2003 hat es eine Reihe von weiteren Veränderungen in der Gemeinsamen Agrarpolitik gegeben, um sicherzustellen, daß andere Werkzeuge und Instrumente bereitstehen, um Milcherzeuger in sensiblen Regionen auf gezieltere Weise zu helfen. So wie die traditionellen Marktmaßnahmen, haben wir Direktzahlungen und andere Elemente im Bereich der ländlichen Entwicklung, wie die Ausgleichszahlungen für benachteiligte Gebiete. (Luxemburg hat sich dazu entschlossen, keine gekoppelten Beihilfen für den Milchsektor einzuführen.)
In Anbetracht der Stärke des luxemburgischen Milchsektors und der Qualität seiner Milch bleibe ich optimistisch, daß das Ende der Quoten mittelfristig betrachtet eine ausgezeichnete Gelegenheit für den Sektor darstellen wird.
Weder das 2012 verabschiedete Milchpaket noch Instrumente wie Marktbeobachtungsstellen dürften ausreichen, um der Preisvolatilität und den Marktschwankungen entgegenzuwirken. Auch die Maßnahmen der 2. Säule reichen nicht aus, um die neuen Herausforderungen zu meistern. Unserer Meinung nach ist auch die in Diskussion gebrachte Regelung einer freiwilligen Mengensteuerung kein geeignetes und praktikables Instrument.
Wie bewerten Sie die Lage? Besteht auf Kommissionsebene die Bereitschaft, gegebenenfalls zusätzliche Markt- und Stützungsinstrumente zu schaffen?
Phil Hogan: Ich bleibe optimistisch, daß die Maßnahmen ausreichend sein werden, aber ich möchte Sie daran erinnern, daß die Kommission verpflichtet ist, dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat vor Ende des Jahres 2018 einen Bericht über die Entwicklung des Milchmarktes zu präsentieren.
2015 ist das erste Jahr der Umsetzung der GAP-Reform mit dem Greening. Es ist dies ein schwieriges Unterfangen für die Landwirtschaft. Besteht Ihrerseits die Bereitschaft, eine größere Flexibilität walten zu lassen und bei kleineren Verstößen von Sanktionen abzusehen?
Phil Hogan: Wir haben immer schon deutlich gemacht, daß es eine gewisse Flexibilität im Hinblick auf die Anwendung von Sanktionen in den ersten paar Jahren des neuen Systems geben wird.
Wird in den Diskussionen um Greening, um „public goods“, die die Landwirtschaft als Gegenleistung für die Direktzahlungen erbringen muß, sowie insgesamt bei den zunehmenden Umweltauflagen, die der Landwirtschaft aufgebürdet werden, nicht oftmals die primäre Rolle der Landwirtschaft als Lebensmittelproduzent vergessen? Ist Ihrer Meinung nach das Greening unbedingt notwendig, um das Agrarbudget zu sichern?
Phil Hogan: Nein, die primäre Funktion der Landwirtschaft ist und bleibt die Lebensmittelproduktion. Diese wird vom Markt honoriert. Es gibt jedoch auch andere Belange, wie Umweltaspekte, die nicht durch den Markt vergütet werden, auch wenn sie der gesamten Gesellschaft von Nutzen sind. Die Idee hinter dem Greening ist, diese als öffentliches Gut anzuerkennen.
Die GAP ist sehr komplex geworden und die administrative Last für die Landwirte und die Verwaltungen steigt. Deshalb die Stichworte: Verwaltungsvereinfachung, Abbau der Bürokratie, Straffung der GAP. Was sind Ihre Ideen für eine Vereinfachung der GAP? In welche Richtung soll es gehen und an welchen Zeitrahmen denken Sie hierbei? Stehen die nationalen Auflagen und Anforderungen an die Landwirtschaft nicht im Widerspruch mit den Vereinfachungsbestrebungen?
Phil Hogan: Ich habe die Auffassungen der Landwirte sehr sorgfältig verfolgt und habe sehr deutlich die Kritik an dem Verwaltungsaufwand, der mit der GAP einhergeht, gehört. Daher habe ich die administrative Vereinfachung als meine politische Priorität für 2015 gesetzt. Ich habe diesbezüglich bereits viel Zeit und Energie aufgebracht und habe es mit dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament diskutiert. Ich behaupte nicht, alle diesbezüglichen Lösungen zu kennen, deshalb habe ich den Ministerausschuß und den Landwirtschaftsausschuß des Europäischen Parlaments nach ihren Lösungsvorschlägen gefragt. Zum jetzigen Zeitpunkt habe ich beinahe 1.000 Seiten Vorschläge erhalten, die ich gewissenhaft berücksichtigen werde. Ein Hauptproblem besteht darin, daß die Mitgliedstaaten auf die maximale Flexibilität bei der Umsetzung der GAP bestehen, um die besonderen Bedingungen und Umstände, die in diesen Mitgliedstaaten vorherrschen, zu berücksichtigen. Dies führt natürlich zu mehr Komplexität in der Politik. Ich möchte die politischen Aspekte, die den Verwaltungsaufwand der Landwirte beeinflussen, identifizieren und beheben und dabei gleichzeitig sicherstellen, daß das Geld der EU-Steuerzahler ordnungsgemäß ausgezahlt wird. Ich sehe dies als einen kontinuierlichen Prozeß mit dem Ziel, politische Stabilität für die Landwirte herzustellen; insbesondere für diejenigen, die Investitionsentscheidungen treffen wollen, soll die administrative Belastung und die Höhe der Bürokratie reduziert werden. Ich freue mich sehr auf meine Zusammenkunft mit den verschiedenen Landwirtschaftsorganisationen aus Luxemburg, um ihre Ansichten zu hören, schließlich sind sie zweifelsohne diejenigen, die diese Probleme am besten kennen.
Die Sicherstellung des Generationswechsel in der Landwirtschaft ist eine Voraussetzung, um die Nachhaltigkeit zu gewährleisten, gleichzeitig auch die Modernisierung und den Fortschritt im Sektor voranzutreiben. Welche Maßnahmen erachten Sie als notwendig, um mehr Junglandwirte zu ermutigen, in die Landwirtschaft einzusteigen bzw. einen Betrieb weiterzuführen?
Phil Hogan: Junglandwirte sind die Zukunft der europäischen Landwirtschaft. Ich komme aus einem Land, wo es mehr Landwirte über 80 als unter 35 Jahre gibt. Die letzte Reform hat einen wichtigen Schritt unternommen, um mehr junge Leute zu ermutigen, in den Agrarsektor einzusteigen, durch Bereitstellung eines 25%-Zuschlags (Top-up) bei den Direktzahlungen für die ersten fünf Jahre. Ich arbeite auch eng mit der Europäischen Investitionsbank zusammen, um die Aussichten auf den Zugang zu Kapital zu verbessern, dies mittels Nutzung von EU-Fonds als „Hebel“ für weiteres Kapital.
Sie haben kürzlich das TTIP-Abkommen als „Superhighway über den Atlantik“ bezeichnet. Ist dieses Abkommen eher ein Gewinn oder aber eine Bedrohung für das europäische Agrarmodell? Und wenn dieses Abkommen doch nicht zustandekäme? Welche Auswirkungen würden sich für die Landwirtschaft ergeben?
Phil Hogan: Das „Transatlantic Trade and Investment Partnership“, bekannt als TTIP, ist ein vorgeschlagenes Handelsabkommen zwischen der EU und den USA, das, bei Zustimmung, die Schaffung einer „Superautobahn“ über den Atlantik darstellen würde. Es wäre im Interesse der Landwirte, Verbraucher und Bürger zu beiden Seiten des Atlantiks und eine ausgewogene, umfassende Abmachung, der zuzustimmen wäre. Bei einem kürzlichen Besuch in den USA habe ich die potentiellen Vorteile und auch Herausforderungen einer solchen Abmachung für die Landwirtschaft hervorgehoben. Ich habe die Grundzüge des europäischen Agrarmodells erklärt, mit unserem Schwerpunkt auf hohen Standards, Qualität und Rückverfolgbarkeit vom Bauernhof bis auf den Tisch. Das europäische Modell dreht sich um Mehrwert durch die ganze Lebensmittelkette hindurch. Ich erwähne z.B. die Geschützte Ursprungsbezeichnung als Schutz „ländlichen geistigen Eigentums“ der EU. Solche Standards können und werden in keiner Verhandlung über Handel geopfert oder herabgesetzt werden. Sollte es kein Abkommen geben, würde es offensichtlich weniger Handel mit landwirtschaftlichen Gütern geben und somit weniger Absatz für die Produkte der EU-Landwirte. Es muß jedoch die richtige Abmachung sein – eine Abmachung, die empfindliche Sektoren schützt und zugleich Exportmöglichkeiten fördert. Ich bin zuversichtlich, daß die EU-Seite nicht irgendeiner Abmachung zustimmen wird, sondern nur der besten.
In den Diskussionen um Klimaschutz und Reduktion der CO2-Emissionen soll die Landwirtschaft ebenfalls einbezogen werden. Gemäß rezenten Studien würde diese Vorgehensweise sehr einschneidende Auswirkungen für die Landwirtschaft mit sich bringen, u.a. einen sehr bedeutsamen Abbau der Rindviehbestände bedingen. Wie sehen Sie die Lage?
Phil Hogan: Ich verfolge dieses Streitthema natürlich genau, auch mit anderen Kommissionskollegen. Wir brauchen vor allem eine genaue Bewertung des Einflusses, den solche Veränderungen nicht nur auf Emissionen, sondern auch auf den Agrarsektor haben könnten.
Sie sprachen bei Ihrer Nominierung bereits davon, daß Sie (wie so mancher Ihrer Vorgänger) eine Halbzeitbilanz zur aktuellen GAP-Reform planen. Wird es dabei nur um eine Feinjustierung der aktuell vorgesehenen Instrumente gehen oder eher um eine „Reform der Reform“, wie einst bei Dr. Fischler?
Phil Hogan: Die Hauptelemente der 2013er Reform sind erst vor drei Monaten in Kraft getreten; deshalb ist es zu früh, um den nächsten Schritt im GAP-Reformprozeß zu diskutieren. Sicherlich, Vereinfachung steht ganz oben auf der Liste für dieses Jahr. Aber in bezug auf Änderungen zu den Grundverordnungen – ein Prozeß, der gründlich ausgearbeitet werden muß und gewöhnlich 18-24 Monate bis zur Beschlußfassung beansprucht – ist es zu früh, um zu sagen, wieviel und was zu verbessern ich ins Auge fassen werde.