Nach der ersten Abstimmung über das Verbot der Neonikotinoide durch die Mitgliedstaaten der EU hat die Europäische Kommission einen zweiten Anlauf genommen. Im März konnte man weder eine qualifizierte Mehrheit dafür noch dagegen finden. Die Kommission hatte demzufolge die Wahl, ihren Vorschlag abzuändern oder eine zweite Abstimmung zu fordern. Schlußendlich haben sich die Brüsseler Beamten für die zweite Alternative entschieden. Die Abstimmung, die am 29. April stattfand, endete ähnlich wie die erste, das heißt ohne qualifizierte Mehrheit (15 Länder dafür, 8 Länder dagegen und 4 enthielten sich der Stimme). Jetzt kann die Kommission einen Text ausarbeiten und diesen ohne eine weitere Absprache in Kraft setzen.
Ab 1. Dezember werden Neonikotinoide während zwei Jahren nicht mehr zulässig sein. Dieses Verbot gilt für Spritzmittel, Beizmittel und Granulate, welche Clothiandin, Imidacloprid oder Thiametoxam enthalten. Ausnahmen gibt es jedoch für Pflanzen, die für Bienen nicht attraktiv sind, so zum Beispiel Wintergetreide. Betroffen sind professionelle Anwender sowie auch Hobbyanwender. Für Hobbyanwender gibt es jedoch keine Ausnahmen. Die Anwendung von Neonikotinoiden durch letztere wird komplett untersagt sein. Landwirtschaftliche Betriebe können die bereits behandelte Rapssaat aber dieses Jahr noch ausbringen. Während den zwei Jahren des Verbots will die Kommission die Auswirkungen auf den Bienenbestand weiter erforschen und die Maßnahme gegebenenfalls verlängern oder abschaffen.
Copa-Cogeca hat sich gegen das Verbot ausgesprochen. Man befürchtet, daß europaweit mit 2,8 Milliarden Euro Verlusten zu rechnen ist und 50.000 Arbeitsplätze gefährdet sind. Auch die betroffenen Konzerne, Bayer Crop Science und Syngenta, sehen die Maßnahme kritisch, weil für letztere größere Einnahmen auf dem Spiel stehen. Außerdem ist das Verbot laut beider Hersteller unbegreiflich, weil es auch Wege gäbe, die verantwortungsvolle Nutzung der Neonikotinoide mit effektiven Bienenschutzmaßnahmen zu vereinen. Weiterhin argumentieren die Vertreter der Konzerne, daß die Kommission sich für die Aufklärung der eigentlichen Gründe des Bienensterbens einsetzen sollte, zum Beispiel die Zerstörung von Lebensräumen und Nahrungsgrundlagen von Bestäubern, anstatt die Neonikotinoide zu verbieten. Viele Experten schließen sich dem an und sehen die Gefahr für Bienen eher in der Varroamilbe, Krankheiten, der vorschriftswidrigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und der Vernachlässigung von Bienenstöcken.
Im Gegensatz zur Vertretung der Landwirtschaft in Brüssel sind die Imkerverbände dem Verbot gegenüber positiv gestimmt. Auch die Umweltlobby begrüßt die Maßnahme, urteilt jedoch, daß diese nicht weit genug gehe. Pflanzenschutzmittel könnte man unter anderem durch Fruchtfolgen und natürliche Gegner der Schädlinge ersetzen.
Nicht eindeutig ist jedoch die wissenschaftliche Fundierung der Regelung. Die Forschungsergebnisse sind bisher ambivalent, weil manche Studien die bienenfeindlichen Eigenschaften der Neonikotinoide belegen und andere Studien keinen Zusammenhang mit dem Bienensterben finden. So findet die Studie der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) einen negativen Einfluß der Pflanzenschutzmittel auf die Gesundheit der Bienen, während eine durch britische Behörden in Auftrag gegebene Studie keinen Zusammenhang erkennt. Der Agrarexperte Michael Eickermann vom CRP Gabriel Lippmann schätzt die Qualität der EFSA-Studie, doch betont, daß das Schwinden der Bienenbestände durch mehrere Faktoren bedingt ist und nicht nur durch den Einsatz von Neonikotinoiden.