Fachvortrag von Professor Leprich im Rahmen der Biogaskonferenz in Ettelbrück
Am 26.02.2013 veranstaltete die Biogas-Vereenegung eine Fachkonferenz in Ettelbrück. Nachdem De Letzeburger Bauer in der letzten Nummer den Fokus auf die Diskussionsbeiträge gelegt hat, wird es im nachfolgenden Beitrag um den Fachvortrag von Professor Dr. Uwe Leprich, dem wissenschaftlichen Leiter des Instituts für Zukunfts-Energie-Systeme (IZES) gehen. Das Thema lautete: «Bedarfsgerechte Produktion und alternative Vermarktungswege für Biogasstrom in Luxemburg».
Professor Leprich machte in seinem Vortrag zunächst deutlich, daß es große Unterschiede zwischen Deutschland und Luxemburg in puncto „bedarfsgerechte Stromproduktion“ gibt. Er zeigte auf, daß es zwar in beiden Ländern tages- und jahreszeitenbedingt riesige Unterschiede bei der Lastkurve gibt, die den aktuellen Strombedarf wiedergibt. Doch während in Deutschland unabhängig von der Jahreszeit ein recht einheitlicher Tagesverlauf zu beobachten ist mit Peaks am Mittag und am frühen Abend, ist dies in Luxemburg anders. Die Tageszeitschwankungen sind weitaus geringer, die Unterschiede zwischen Sommer und Herbst aber viel größer als in Deutschland.
Der Wissenschaftler stellte im folgenden dar, wie in Deutschland der Bedarf derzeit gedeckt wird und welche Änderungen diesbezüglich von der in Berlin beschlossenen Energiewende zu erwarten sind. Die sogenannte Grundlast macht den Teil aus, der immer gebraucht wird. Sie wird hauptsächlich erzeugt von unflexiblen Anlagen, die immer laufen müssen, und zwar in der Hauptsache Kernkraft- und Braunkohlekraftwerke. Darüber steht die Mittellast, erzeugt von Kraftwerken, die nicht immer gebraucht werden (hauptsächlich Steinkohlekraftwerke). Zum Schluß schließlich die Spitzenlast, die von kurzfristig in Gang gebrachten Gaskraftwerken und Pumpspeicherkraftwerken getragen wird.
Der Experte zeigte in diesem Kontext beispielhaft die Anteile der Energieträger in Deutschland am 23. Februar 2013 anhand der Daten der Leipziger Strombörse (European Energy Exchange, EEX) auf. Diese Daten können im Internet abgerufen werden (http://www.transparency.eex.com/de). Daraus ist zu ersehen, daß Braunkohle und Kernkraft momentan rund zwei Drittel der Gesamtlast abdecken.
Professor Leprich machte deutlich, daß sich das Bild in Zukunft dramatisch verändern wird. Er sprach in diesem Kontext von der Abkehr von der „Grundlastwelt“, hin zu einer „Residuallastwelt“. Unter Residuallast ist die Differenz aus der gesamten Stromerzeugung, dem eingespeisten grünen Strom und dem privat verbrauchten bzw. vermarkteten grünen Strom zu verstehen, also das was künftig erzeugt werden muß, um quasi den Mangel an Erneuerbarem Strom bei der Gesamtlast auszugleichen. Für 2050, wenn nach den Planungen der Energiewende 80% des Strombedarfs mit EE gedeckt werden sollen, sagte er in der Tendenz das Ende der Grundlast voraus. Hierfür zeigte er Prognosen, die für 2050 eine nur noch geringe Residuallast zeigen, wobei an etlichen Tagen der grüne Strom (Wind, Photovoltaik, Wasser, Biogas/Biomasse) bereits über 100% des Bedarfs decken würde. Eine Speicherung von Energie wäre dann unerläßlich.
Windkraft und Photovoltaik künftig im Zentrum des Systems
Bedarfsgerecht produzieren hieße dann, flexibel und rasch die Residuallast aufzubringen und sich der Situation bei Wind und Photovoltaik anzupassen, welche das Zentrum des neuen Stromerzeugungssystems darstellen würde. Zur Flankierung seien Flexibilitätsoptionen nötig, da Wind und PV als Stromquelle zu ungleichmäßig seien. Hierzu seien neue flexible Kraftwerke und stromorientierte KWK-Anlagen mit Wärmespeicher erforderlich, irgendwann zusätzlich Speichermedien für Strom. Zu Luxemburg sagte er diesbezüglich, daß die hier vorhandenen Gaskraftwerke ohnehin flexibler seien als die in Deutschland dominierenden Kohlekraftwerke.
Professor Leprich führte im folgenden aus, daß Biogas ebenfalls Bestandteil der flankierenden Flexibilitätsoptionen für das künftige System werden könnte. In Deutschland spricht man bereits davon, daß grundlastbetriebene KWK ein Auslaufmodell sind. Biogasanlagenbetreibern würde man deshalb schon jetzt vermitteln, daß sie sich flexibilisieren müßten, um die Ergänzungsrolle zukünftig leisten zu können. Neben der stromorientierten KWK-Anlage könnte dies potentiell auch durch mit Biomethan betriebene Gaskraftwerke oder Zufeuerung von Biomasse in Kohlekraftwerken sein. Zudem könnten Biogas-/Biomasse-Anlagen einen Beitrag zur Systemsicherung leisten (Frequenzregelung und Bereitstellung von Blindleistung u.a.).
Marktpreise sinken mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien
Im folgenden kam der IZES-Experte auf die Vermarktung von Strom zu sprechen. Er sprach davon, daß es „den“ Strommarkt gar nicht gibt, sondern verschiedene Teilmärkte. Als wichtigsten Teilmarkt stellte er den Großhandelsmarkt vor, der von großen Stromanbietern genutzt wird, und innerhalb dieses Markts wiederum die Strombörse mit Spotmarkt und Terminmarkt. Er legte anhand einer Graphik bezüglich des Strom-Terminmarkts dar, daß der Preis seit 2008 kontinuierlich nach unten geht. In diesem Kontext kam Professor Leprich auf die Marktpreisbildung zu sprechen. Diese wird geprägt durch eine wenig flexible Nachfrage und eine sog. Merit-Order, die die Abfolge der Kraftwerkstypen je nach Brennstoffkosten und CO2-Zertifikatskosten wiedergibt, wobei deren quantitative Bedeutung für den Strommarkt jeweils durch eine unterschiedlich lange „Treppenstufe“ (siehe Graphik) gekennzeichnet ist. Der Marktpreis ergibt sich aus dem Schnittpunkt von Merit-Order und Nachfragekurve. Daraus folgt, daß sich die Merit-Order weiter nach rechts verschiebt, wenn Energieträger ohne Brennstoffkosten (Wind, PV, Wasser) an Bedeutung zunehmen. Dies führt wiederum dazu, daß die Nachfragekurve die Merit-Order im Laufe der Zeit auf einem niedrigeren Niveau schneiden wird, also der Marktpreis sinkt. Je mehr Strom aus Wind und PV vorhanden ist, desto niedriger wird also der Strompreis. Dies bezeichnete der Experte als Merit-Order-Effekt. Damit widersprach er den Verheißungen, wonach die Erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung eines Tages ohne Subventionen bzw. Umlagesystem auskommen und sozusagen marktfähig werden könnten. Vielmehr sei es so, daß bei sinkenden Börsenpreisen die Prämien kontinuierlich erhöht werden müßten.
Professor Leprich merkte an, daß der Merit-Order-Effekt, der auf alle Teilmärkte wirkt, solange Gültigkeit hat, wie die Brennstoff- und Zertifikatskosten der fossilen Energieträger gering bis moderat bleiben. Bei dem heutigen Grenzkosten-basierten Strommarkt seien Biogas-/Biomasse-Produzenten gegenüber konventionellen Stromerzeugern im Hintertreffen. Bei den Kapitalkosten liege hingegen die Kernkraft mit Abstand am höchsten.
Der Referent zeigte auf, daß Gasturbinen als Flexibilitätsoption viel kostengünstiger sind als Biogas-/Biomasse-BHKW. Zur Umrüstung wären bei Biogas-BHKW zusätzliche Investitionen in Wärmespeicher, größere Biogasspeicher und ein zweites BHKW nötig. Diese Zusatzkosten seien wegen ohnehin mangelnder Refinanzierungsfähigkeit am Großhandels- und Regelmarkt „begründungsbedürftig“. Es werde ein zusätzlicher Refinanzierungsmechanismus gebraucht.
Deutsche Flexi-Prämie für Biogasanlagen reicht nicht aus
Professor Leprich stellte verschiedene Aspekte der Direktvermarktung von Strom in Deutschland gegenüber. Im letzten Jahr stieg erstmals die Direktvermarktung von EEG-Strom rapide auf über 25 MW Leistung. Den Löwenanteil machte hierbei die Windkraft mit rund 70% aus. Das deutsche Prämiensystem wird immer komplexer: Zu der dominierenden Marktprämie wurde noch eine Managementprämie eingeführt. Für flexible Biogasanlagen gibt es erstmals zusätzlich die Möglichkeit einer Flexibilitätsprämie (als Anreiz zu Investitionen in Speicher und Erhöhung der Anlagenkapazität), die für zehn Jahre beantragt werden kann. Zu den Nachteilen der Direktvermarktung zählt neben den nötigen Zusatzinvestitionen und weiteren Zusatzkosten (höherer Verschleiß, höhere laufende Kosten) u.a., daß die Prämien bei den Gesamterlösen immer mehr an Gewicht gewinnen. Für weniger als 150 Anlagen wurde die Flexibilitätsprämie beantragt, die offenbar noch nicht Anreiz genug ist. Für den IZES-Experten ist klar, daß die Flexibilitätsprämie deutlich erhöht werden müßte, damit sie wirken kann.
Schließlich kam der Referent auf die Konsequenzen für Luxemburg zu sprechen und stellte hierzu die Verteilung auf dem heimischen Strommarkt vor. Mehr als die Hälfte des Strombedarfs wird durch Importe gedeckt, insbesondere aus Deutschland (derzeit vor allem Grundlaststrom aus Kohle und Kernkraft). Der regenerative Strom machte in der Graphik mit dem Bezugsjahr 2009 gerade einmal 2,6% des Stromverbrauchs aus. Professor Leprich machte deutlich, daß man mit der Ersetzung von importiertem Grundlaststrom durch die Binnenerzeugung von Erneuerbarem Strom viele Fliegen mit einer Klappe schlagen kann: Klimaschutz durch weniger Braunkohleverbrennung, Risikominimierung durch Ersatz von Kernenergie, Verringerung der Importabhängigkeit, Stärkung der regionalen Wertschöpfung, Schaffung von Arbeitsplätzen, etc…
Flexibilisierung in Luxemburg nicht erstrebenswert
Aufgrund der gänzlich anderen Situation in Luxemburg kam der Experte zu dem Schluß, daß mittelfristig hierzulande weder die oben angeführte Flexibilisierung noch die Direktvermarktung von regenerativem Strom anzustreben ist. Für die Förderung der Biogas-BHKW reichen die normalen energie- und klimaschutzpolitischen Maßstäbe für die Festlegung der Einspeisevergütungen seinen Worten zufolge wahrscheinlich nicht aus, um die Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten. Es sollte vielmehr ein „Begründungspakt“ geschnürt werden, wo neben den oben angeführten Aspekten auch Vorteile bezüglich Abfallwirtschaft, nachhaltiger Landwirtschaft, Wasserschutz und Landschaftsgestaltung mit einfließen sollten. Außerdem empfahl Professor Leprich, verstärkt europäische „Kosten-Benchmarks“ zu berücksichtigen, um die Vergütungen in einem angemessenen Rahmen zu halten.
In seinem Ausblick hielt der IZES-Experte folgende Anmerkungen fest:
- Biogas ist ein CO2-neutraler Energieträger, der in einem dekarbonisierten Energiesystem ein wichtiges Element darstellt.
- Je stärker das Energiesystem durch fluktuierende erneuerbare Energien geprägt wird, desto stärker müssen die regelbaren erneuerbaren Energien flexibilisiert werden.
- In Luxemburg dienen Biogasanlagen auf absehbare Zeit der Verdrängung von fossilem und nuklearem Importstrom; die Vergütung dafür sollte „angemessen“ sein.
Zum zweiten Punkt merkte er an, daß in Luxemburg mindestens in den nächsten zwei Jahrzehnten kein Flexibilisierungsbedarf bestehen wird.
In der anschließenden Diskussion kam auch die praktische Ausgestaltung der Strom-Direktvermarktung in Deutschland zur Sprache. Derzeit gilt als sogenannte „Präqualifikationsanforderung“, daß mindestens 5 MW Leistung aufgebracht werden müssen, zum Beispiel von einer Direktvermarktergemeinschaft. Diese Mindestleistung, die über 70% der derzeitigen Gesamtleistung der heimischen Biogasanlagen entspricht, wird laut Professor Leprich voraussichtlich künftig reduziert werden.
Zeilen zur Graphik:
Bei einem starken Ausbau von Windkraft und PV rückt die treppenförmige Kurve deutlich nach rechts, wodurch der Gleichgewichtspreis für Strom weiter sinken wird. Nur ein starker Anstieg der Kosten für fossile Brennstoffe und CO2-Zertifikate könnte dem entgegenwirken.