Der Europäische Rat hat bei seiner Juni-Sitzung bekanntlich grünes Licht für einen Beitritt von Kroatien in die Europäische Union gegeben. Die Beitrittsverhandlungen sind abgeschlossen und das Land erfüllt die Bedingungen zu einer Aufnahme in die Union. Wann Kroatien tatsächlich als 28. Land der EU beitritt, bleibt ungewiß, frühestens jedoch 2013.
Zwei weitere Balkanstaaten haben den Status als Beitrittsland – Mazedonien seit 2005 und Montenegro seit Dezember 2010. Vier weitere Balkanstaaten – Albanien, Bosnien-Herzegovina, Kosovo und Serbien – streben den Status als Beitrittskandidat an, müssen allerdings noch erhebliche Fortschritte in allen Hinsichten erreichen und ein Datum bezüglich des Status als Beitrittskandidat bleibt offen.
Mit einer Gesamtfläche von 264.462 km2 stellen die Balkanstaaten etwa 6% der EU-Gesamtfläche und mit 26,3 Mio. Einwohnern rund 5% der EU-Bevölkerung dar. Die Bevölkerungsdichte liegt bei 89,2 Einwohnern/ km2 und damit deutlich unter derjenigen der EU von 114,4 Einwohnern/ km2.
Die Balkanstaaten weisen eine Reihe von gemeinsamen Charakteristiken auf: Sehr niedriges Einkommensniveau, schlecht funktionierende staatliche Strukturen, teilweise große politische Instabilität und dadurch mangelnde Kontinuität in der Politik, Überalterung der Bevölkerung (außer Kosovo und Albanien), allgemein ein schlechtes Ausbildungsund ein niedriges Qualifikationsniveau sowie mangelnde Mobilität der Arbeitskräfte.
Eine äußerst kleinstrukturierte und wenig produktive Landwirtschaft – die Durchschnittsgröße der Betriebe variiert zwischen 1,2 ha und knapp 4 ha je nach Land – bildet in den ländlichen Regionen die Hauptaktivität. Außerlandwirtschaftliche Aktivitäten gibt es in den meisten ländlichen Regionen kaum und die sozialen Infrastrukturen sind schlecht und unterentwickelt. Viele ländliche Haushalte haben keinen Zugang zu den landwirtschaftlichen Märkten, zu Krediten, zum Arbeitsmarkt ebenso wie zu Informationen und Wissen, wodurch sie der Armut kaum entfliehen können.
Infolge des Krieges und der Übergangszeiten hat die landwirtschaftliche Produktion in diesen Ländern allgemein stark abgenommen. Seit 2000 ist eine leichte Erholung festzustellen. Dennoch bleiben die Landwirtschaft selbst sowie ebenfalls die lokalen Agrarmärkte, trotz des vorhandenen Produktionspotentials sowohl in bezug auf die landwirtschaftlichen Flächen als auch in bezug auf die verfügbaren Arbeitskräfte, wenig entwickelt – es fehlt an marktfähigen Produkten, an Infrastrukturen, an Kompetenzen und an Kenntnissen, um sich den Sanitärnormen anzupassen. Nur im Norden des Balkans, in den Ebenen von Donau und Save, hat sich eine intensivere Landwirtschaft entwickelt ebenso wie eine größere Diversität der wirtschaftlichen Aktivitäten insgesamt.
Hauptherausforderungen für die Entwicklung der ländlichen Gebiete in den Balkanstaaten sind und bleiben u.a. die Verbesserung des institutionellen Rahmens allgemein, die Entwicklung einer diversifizierten Landwirtschaft, der Aufbau von Infrastrukturen, der Ausbau der Ausund Weiterbildung zwecks besserer Qualifikation der Arbeitskräfte, der Neuaufbau von genossenschaftlichen Einrichtungen sowie die Schaffung eines günstigen Geschäftsklimas für Unternehmen.
Für alle Länder des westlichen Balkans hat die EU den sogenannten Stabilisierungs- und Assoziierungsprozeß eingeleitet, der sie nach und nach enger an die EU heranführen soll. Damit haben diese Länder für nahezu alle ihre Ausfuhren freien Zugang zum EU-Binnenmarkt und erhalten finanzielle Unterstützung für ihre Reformbemühungen.
Bereits im Vorfeld der EU-Erweiterung auf die mittel- und osteuropäischen Länder hatte die Union den IPA – Instrument for Pre-Accession – geschaffen, um damit beitrittswillige Länder in ihrer Entwicklung insbesondere in bezug auf die Anpassung an die europäischen Standards und die EU-Politik insgesamt zu unterstützen. Dieses Instrument umfaßt Stützungsmaßnahmen in fünf Bereichen: 1. Aufbau von Institutionen, 2. Aufbau einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, 3. regionale Entwicklung, 4. Entwicklung des Humankapitals und 5. ländliche Entwicklung (das EU-Stützungsprogramm in diesem 5. Bereich trägt den Namen IPARD). Beitrittswillige Länder, die noch nicht den Status des Beitrittskandidaten haben, können in den Genuß von Beihilfen in den ersten beiden Bereichen kommen. Dies ist derzeit der Fall für Albanien, Bosnien- Herzegovina, Kosovo und Serbien. Den Beitrittskandidaten – Kroatien, Mazedonien und Montenegro – werden Beihilfen in allen fünf Bereichen gewährt. Dies setzt voraus, daß die Staaten über korrekt funktionierende Strukturen und Institutionen verfügen, auch über die notwendigen Kontrollorgane, da sie die ihnen zukommenden Gelder selbst verwalten müssen. Für den Zeitraum 2007-2013 hat die EU 10,2 Mrd. Euro für die IPA bereitgestellt, davon 880 Mio. Euro für die Entwicklung der ländlichen Räume im Rahmen von IPARD.
Im folgenden wird versucht, die Lage in den einzelnen dieser Länder, insbesondere in bezug auf die Landwirtschaft, kurz zu umreißen.
Kroatien
Kroatien, seit 1991 unabhängig, hat eine Landesfläche von 56.542 km2 und eine Bevölkerung von 4,44 Mio. Einwohner. Die Hauptstadt ist Zagreb. Wirtschaftlich hat Kroatien seit dem Jahr 2000 wesentliche Änderungen erfahren, allerdings stellt die Restrukturierung der Wirtschaft nach wie vor eine große Herausforderung dar. 63% aller kroatischen Importe kommen aus der Europäischen Union. Das Pro-Kopf Bruttoinlandsprodukt lag 2009 bei 14.243 Euro.
Etwa die Hälfte der Landesfläche (rund 2,7 Mio. ha) sind landwirtschaftliche Flächen, 67% in Privatbesitz und 33% in Staatsbesitz. Allerdings wird nur ein Teil davon tatsächlich genutzt – schätzungsweise 1,3 Mio. ha. Trotz der Entwicklungen in den anderen Bereichen der Wirtschaft spielt die Landwirtschaft ebenso wie die Lebensmittelindustrie immer noch eine sehr wichtige Rolle. Sie ist vorwiegend kleinstrukturiert – die Durchschnittsgröße der Betriebe liegt bei etwa 5 ha –; sie erfüllt die EU-Normen, bleibt dennoch extrem modernisierungsbedürftig. Sowohl die Produktivität als auch die Kapitalisierung sind gering, obwohl die natürlichen Bedingungen günstig sind. Die Fragmentierung in sehr kleine Parzellen wird als eine der Hauptursachen für die geringe Produktivität gewertet. Neben der Vielzahl kleiner Betriebe gibt es große Staatsbetriebe. 2010 wurden 232.000 Betriebe gezählt, davon 230.000 kleine Familienbetriebe, die oft im Nebenerwerb geführt werden und circa 1,1 Mio. ha bewirtschaften. Der Anteil der Landwirtschaft beim Bruttoinlandsprodukt lieg bei etwa 6%, tendiert jedoch nach unten. Trotz eines umfangreichen Entwicklungspakets ist es Kroatien bisher nicht gelungen, die Landwirtschaft so auszubauen, daß eine Selbstversorgung des Landes gewährleistet ist. Es müssen nach wie vor zahlreiche Lebensmittel importiert werden, was sich negativ auf die Handelsbilanz auswirkt und womit Kroatien von Importen abhängig bleibt. Auch in der Verarbeitungsindustrie bestehen weiterhin große Defizite.
Die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien wurden im Juni 2011 abgeschlossen. Im Rahmen der Beitrittsverhandlungen wurde vereinbart, daß Kroatien im Falle seines EU-Beitritts mittelfristig ungefähr so viele Direktbeihilfen erhalten soll wie Litauen oder die Slowakei, nämlich 373 Mio. Euro.
Montenegro
Montenegro hat eine Landesfläche von 13.812 km2 und zählt rund 625.000 Einwohner. Damit liegt die Bevölkerungsdichte mit 46 Einwohnern/ km2 sehr niedrig. Die Hauptstadt ist Podgorica. Während das Straßennetz allgemein zufriedenstellend ausgebaut ist und alle Dörfer über Elektrizität verfügen, bleibt die Wasserversorgung sowohl in bezug auf das Trinkwasser als auch das Abwasser sehr problematisch.
Ein spezifisches Problem in Montenegro ist die alternde Bevölkerung: Nur 16% der Einwohner sind weniger als 14 Jahre alt – demgegenüber stehen 14% Einwohner, die älter als 65 Jahre sind. Vor allem in den ländlichen Regionen, wo 38% der Bevölkerung leben, gestaltet sich die Alterstruktur besonders problematisch, so daß die Regierung dazu übergegangen ist, spezielle Prämien zu gewähren an junge Leute, die sich auf dem Land ansiedeln, um die Landflucht zu stoppen.
Rund 38% der Landesfläche bzw. 516.000 ha werden landwirtschaftlich genutzt, 88% davon als Wiesen und extensives Weideland. Ackerland, Obstanbau und Weinbau werden auf lediglich 58.200 ha betrieben. Über 60% der landwirtschaftlichen Erzeugung kommen aus der Tierproduktion. Landwirtschaft, einschließlich Jagd und Forstwirtschaft, sowie die Lebensmittelproduktion spielen eine wichtige Rolle in der Wirtschaft Montenegros und tragen zu etwa 10% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Mehr als 60.000 Haushalte beziehen ihr Einkommen ganz oder teilweise aus der Landwirtschaft. Damit bleibt die Landwirtschaft in Montenegro vorwiegend geprägt von kleinen Familienbetrieben, deren Durchschnittsgröße auf weniger als 5 ha geschätzt wird.
Die Regierung hat spezifische Programme aufgestellt zwecks Heranführung des Landes an die EUStandards. Dabei soll die Effizienz der Märkte verbessert und auf die Anwendung der EU-Standards hingewirkt werden. Vorbereitungsarbeiten laufen in bezug auf die Umsetzung der EU-Agrarumweltmaßnahmen und eine Strategie zur Entwicklung der ländlichen Räume. Dabei wird u.a. eine Verbesserung der ländlichen Infrastrukturen anvisiert, die Diversifizierung der wirtschaftlichen Tätigkeiten in den ländlichen Regionen und die Verbesserung der Aus- und Weiterbildung. Eines der Hauptprobleme zur Modernisierung der Betriebe bleibt der Zugang zu den dafür notwendigen Krediten. Handlungsbedarf besteht auch in bezug auf die Qualitäts- und Hygienestandards. Bedeutende Investitionen sind notwendig zwecks diesbezüglicher Anpassung an die EU.
Unterstützt wurde die Landwirtschaft bislang mit Geldern aus dem Staatshaushalt und ein Darlehen der Weltbank (für 2011 insgesamt 21,1 Mio. Euro). Beihilfen werden gewährt in Form von Investitionsbeihilfen, Subventionen für Produktion und Dienstleistungen – u.a. mit einer Milchprämie zur Unterstützung der Milchwirtschaft und einer Tierprämie – sowie für die Marktinterventionen. Mit diesen Maßnahmen will die Regierung eine Steigerung der Produktivität, mehr Wettbewerbsfähigkeit und eine Verbesserung der Produktqualität erreichen.
Montenegro hat seit Dezember 2010 den Status als Beitrittskandidat und demnach Zugang zu allen IPA-Stützungsmaßnahmen.
Mazedonien
Die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien (Hauptstadt Skopje) ist seit 1991 ein unabhängiger Staat und erhielt bereits 2005 den Status eines Kandidatenlandes für eine EUMitgliedschaft. Das Land hat eine Fläche von 25.713 km2; die Einwohnerzahl liegt bei rund 2 Millionen: Circa 19% der Bevölkerung sind jünger als 14 Jahre, während 11,4% über 65 Jahre alt sind. Die Hälfte der Bevölkerung lebt in ländlichen Regionen. Trotz einer allgemein positiven wirtschaftlichen Entwicklung spielt die Landwirtschaft mit einem Anteil von 18% an der Gesamtbeschäftigung und von 9,7% am Bruttoinlandsprodukt weiterhin eine wichtige Rolle.
Rund 39% der Republik Mazedonien bzw. 1,01 Mio. ha werden landwirtschaftlich genutzt, davon etwa die Hälfte für Ackerland (+/- 400.000 ha), Obst- und Weinbau (35.000 ha) und Wiesen (58.000 ha) einerseits, und Dauergrünland andererseits. 37% der Landesfläche sind mit Wäldern bedeckt. Die Landwirtschaft bleibt durch die kleinen familienbetrieblichen Strukturen gekennzeichnet: Die Durchschnittsgröße der Betriebe liegt bei 2,5 – 2,8 ha. Das Land ist äußerst fragmentiert mit vielen kleinen Parzellen, die in Eigentum oder Pacht bewirtschaftet werden. Die noch verbleibenden Staatsbetriebe sind wesentlich größer, funktionieren allerdings allgemein schlecht. Das meiste Weideland bleibt auch heute noch in Staatsbesitz und wird durch eine öffentliche Anstalt verwaltet.
70% des landwirtschaftlichen Produktionswertes kommen aus der pflanzlichen Produktion, hauptsächlich dem Gemüseanbau, womit Mazedonien auch Nettoexporteur von verarbeitetem Gemüse ist. Weitere wichtige Agrarprodukte, die auch in die EU exportiert werden, sind Obst, Getreide, Tabak und Wein. Die meisten Exporte gehen allerdings in die übrigen Balkanstaaten, vorwiegend nach Serbien. Der tierische Bereich ist weniger bedeutend; dabei dominiert die Milchproduktion. Insgesamt bleibt das Land im Nahrungsmittelbereich Nettoimporteur, wobei die EU der wichtigste Handelspartner ist. (Fortsetzung folgt)